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Idee > Symbol > Wirklichkeit: Meine Wirklichkeit

Reihe von Dr. phil. Michael Weiss / Herbst 2002

"Die Welt ist meine Welt." Diese Aussage des Philosophen Ludwig Wittgenstein fand in den Kognitionswissenschaften des 20. Jahrhunderts eine neue Bestätigung: Forschungsergebnisse zeigten, dass Nervenzellen lediglich die Intensität einer Erregung codieren, aber weder über die Art noch über die Herkunft dieser Erregung informieren können. Somit gibt es keine vom/ von der BeobachterIn unabhängige Realität, vielmehr wird diese erst von jedem/ jeder selbst konstruiert.

Bezüglich dieser Annahme, eines der Kernstücke des Konstruktivismus, schreibt Gerhard Roth in Das Gehirn und seine Wirklichkeit:

"Gehirne – so meine These – können die Welt grundsätzlich nicht abbilden; sie müssen konstruktiv sein, und zwar sowohl von ihrer funktionalen Organisation als auch von ihrer Aufgabe her, nämlich ein Verhalten zu erzeugen, mit dem der Organismus in seiner Umwelt überleben kann. Dies letztere garantiert, dass die vom Gehirn erzeugten Konstrukte nicht willkürlich sind, auch wenn sie die Welt nicht abbilden (können)."(S.21)

Dieser Aussage gemäß kann der Mensch nie zu einer objektiven Sicht der Welt gelangen, auch die Suche nach einer einzigen Wahrheit muss aufgegeben werden. Was bleibt ist die Subjektivität, das individuelle Konstruieren jedes und jeder Einzelnen, um des Überlebens in der Umwelt willen, welches dann gleichzeitig zum Erleben der eigenen Wirklichkeit wird.

Konstruieren ist zuerst das Entwickeln einer Idee, eines Modells, eines Konzepts. Die Entfaltung derselben ist ihre Realisierung, ist ihr Ausdruck. Der (materialisierte) Ausdruck einer Idee ist ihr Symbol. Die von mir erschaffenen Symbole zeigen mir meine Wirklichkeit. Sie zeigen mir, welche Modelle die von mir erwünschte Wirkung brachten und welche dies nicht taten; sie zeigen mir, ob die von mir gewählte Realisierung der Ideen den gewünschten Effekt hatten oder nicht; sie zeigen mir meine Subjektivität. Somit sind Symbole das Feedback meines Ich's.

Meine Wirklichkeit ist symbolische Wirklichkeit und jede Wahrheit, die ich in ihr finde, ist symbolische Wahrheit, weil sie meine Wahrheit ist. Wahrheit, verstanden als ein "Wissen-von-etwas", kehrt hier als ein "Glauben-an-etwas" zurück. Dies "Glauben-an-etwas" ist der Motivator des Konstruierens, des Kreierens. Es ermöglicht den Entwurf von Konzepten, von Modellen, und verlangt nach einem Subjekt und der Entfaltung desselben. Es ergibt sich die Gestaltung der Wirklichkeit und gleichzeitig die Entfaltung des Individuums.

Bei Fragen, Anregungen oder Einwänden würde ich mich über ein Kommentar sehr freuen!

von Michael Noah Weiss

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